Hexenverfolgung im Avers – 
vom lahmen Geigerlein und von blauen Lichtern

Im arven- und artenreichen Letziwald zwischen Cröt und Cresta liegt eine Lichtung, die einen geschichtsträchtigen Namen trägt: Galgaboda. Dort wurden Mitte des 17. Jahrhunderts ein Dutzend Hexen aus dem Avers hingerichtet. Heute erinnert ein Gedenkstein an die Verfolgten und Gemarterten.

Es waren mit Sicherheit dreizehn Hexen und ein Hexenmeister, vielleicht auch mehr, die um 1650 vor das Gemeindegericht kamen, das im (inzwischen abgerissenen) Gerichtsgebäude neben der Kirche von Cresta tagte. Peinlich genau befragte es jeweils die Beschuldigten und folterte sie systematisch. Die Folter war im frühneuzeitlichen Strafprozess ein üblicher und wesentlicher Bestandteil des Beweisverfahrens. Das Gericht folgte einem stereotypen Frageraster und bekam die gewünschten Antworten meistens in Form von Geständnissen. Wer die Folter ohne Geständnis überstand, galt als unschuldig. Im Avers endeten die meisten Angeklagten vor dem Scharfrichter auf dem Galgaboda. Man sagt, die letzte dort geköpfte Hexe soll vor der Hinrichtung erneut ihre Unschuld beteuert und mit dem Fuss so heftig auf den Boden gestampft haben, dass in der Steinplatte ein Abdruck blieb.

Die Hexenverfolgung, wie sie aus dem Avers überliefert ist, erreichte in Europa im 16. und 17. Jahrhundert ihren Höhepunkt, in der Schweiz vor allem in den Jahrzehnten um 1600.

In Graubünden und in der Waadt gab es schweizweit am meisten Hexenprozesse, da dort das politische und rechtliche Gefüge wenig zentralistisch ausgebildet und die Gerichtsbarkeit stark zersplittert war. Die Nähe des Gerichts zur klagenden Bevölkerung führte hier zu einer intensiveren Hexenverfolgung als an Orten mit einer zentralisierten Gerichtsbarkeit.

Im Gemeindearchiv von Avers liegen die Protokolle der Hexenprozesse, die zwischen 1652 und 1664 in Cresta stattfanden. In den Dokumenten stösst man auf Geschichten vom lahmen Geigerlein, das jeweils nachts zum Tanz aufspielte, von blauen Lichtern oder vom Hexentanz, dem Barlot, auf der Crester Alp.

Ein Teil der Protokolle wurden von der Mediävistin Barbara Schmid transkribiert und in ein modernes Deutsch übertragen. Sie werden in Auszügen im Archiv der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Geplant ist eine kommentierte Edition der Hexenprozesse.

Diese erstmals aufgearbeiteten Dokumente sind Grundlage für die künstlerischen Transformationen und gesellschaftspolitischen Befragungen im Rahmen von hexperimente.

Quellen:
Heinz, Arthur: Gedenkstein "Galgaboda", Avers. Unveröff. Ms. 1996.
Pfister, Ulrich: Schweiz - Hexenverfolgungen. Aus: Lexikon zur Geschichte der Hexenverfolgung, hrsg. v. Gudrun Gersmann, Katrin Moeller u. Jürgen-Michael Schmidt, in: historicum.net, URL: (2009)
Stoffel, Johann Rudolf: Das Hochtal Avers. Zofingen 1948.
Zagolla, Robert: Folter. Aus: Lexikon zur Geschichte der Hexenverfolgung, hrsg. v. Gudrun Gersmann, Katrin Moeller u. Jürgen-Michael Schmidt, in: historicum.net, URL: (2009)

 

Schauplätze

1   Gerichtsgebäude neben der Kirche
2   Cresteralp: hier sollen Hexen getanzt haben
3   Gruaba: hier sollen Hexen getanzt haben
4   Magullen: hier soll Trina Pfiffer Vieh verhext haben
5   Bim nüwa Gada: hier sollen Hexen getanzt haben
6   Sdrützhus: hier sollen die Geiger aufgespielt haben

 
 

Hexenverfolgung in Europa – 
viel beachtet, unterschiedlich verstanden

Über Hexen gibt es viele Mär: Es seien weise Frauen gewesen, sagen die einen; sie hätten über vermaledeiende Kräfte verfügt, sagen die anderen. Schliesslich wird behauptet, ihre Verfolgung sei schlicht Ausdruck eines finsteren Aberglaubens gewesen.

Mit solchen Vorurteilen gibt sich die heutige Forschung nicht zufrieden. In den letzten Jahrzehnten haben Forscherinnen und Forscher verschiedener Richtungen anregende Ansätze zur Einordnung des Hexenwesens formuliert. Je nach Perspektive und Modeströmung wird die Hexenverfolgung in Europa unterschiedlich erklärt: sozialwirtschaftlich, religiös, psychoanalytisch, feministisch oder politisch.

Heute sind sich viele Wissenschaftler einig, dass die Verfolgung von Hexen oft in nachbarschaftlichen Konflikten wurzelt. Diese traten gehäuft auf, wenn das Prinzip der Gegenseitigkeit (du gibst mir Milch, ich helfe dir beim Mähen) unter Druck geriet, beispielsweise in Hungerkrisen. Das erklärt, weshalb es in der Schweiz in den Jahrzehnten rund um 1600 – also während der «kleinen Eiszeit» und während des Dreissigjährigen Krieges – am meisten Hexenprozesse gab.

In den Siebzigerjahren deuteten Feministinnen die Hexenverfolgung als systematisches Unterfangen des Patriarchats: Männer würden Frauen generell einschüchtern und diejenigen, die über geheimes Wissen verfügten (bezüglich Abtreibung oder Verhütung), vernichten wollen. Tatsächlich waren es nicht nur Frauen, die der Hexerei angeklagt wurden, sondern ein Fünftel waren Männer.

Neuerdings werden vermehrt auch psychoanalytische Erkenntnisse berücksichtigt und unbewusste Ängste rund um Sexualität oder effektiven Missbrauch thematisiert.

Es gibt auch Versuche, die Hexenprozesse entweder als Teil der Konfessionalisierung Europas im 16. Jahrhundert zu erklären oder sie als Ausdruck der Gegenreformation zu sehen. Die Hexenverfolgung war jedoch nicht nur eine Sache der Katholiken, sondern auch in reformierten Gegenden gingen die Behörden kompromisslos gegen angebliche Hexen vor.

Andere Historiker schlagen vor, die Hexenverfolgung als Teil des politischen Prozesses zu betrachten, in dem sich der Nationalstaat herausbildet.

Es gibt schliesslich eine Tendenz, die Verfolgung von Hexen als Nebenprodukt des wachsenden Kapitalismus zu interpretieren, was mit dem wirtschaftlichen Gefälle und Sozialneid belegt wird. Es gab als Hexen angeklagte Frauen und Männer, die wohlhabend und nicht (wie häufig) arm waren und aus der Kaufmannsschicht stammten, wogegen die Kläger arm waren und vom Dorf kamen.

Quellen
Jerouscheck, Günter: Hexenverfolgung und Psychoanalyse. Aus: Lexikon zur Geschichte der Hexenverfolgung, hrsg. v. Gudrun Gersmann, Katrin Moeller u. Jürgen-Michael Schmidt, in: historicum.net, URL: (2009)
Lorenz, Sönke/Midelfort, H. C. Erik: Hexen und Hexenprozesse. Ein historischer Überblick, in: historicum.net, URL: (2009)

 

Die Hexenprozessakten aus dem 17. Jahrhundert liegen im Gemeindearchiv.