Brisante Themen ...

«Grabe, wo du stehst». Gemäss dem Motto des Schwedischen Schriftstellers Sven Lindquist  widmet sich die Kulturplattform «hexperimente – die bühne im avers» der Erforschung der Vergangenheit, die bis in die Gegenwart ausstrahlt. Standort der Tiefenbohrungen ist das bündnerische Hochtal Avers. Zu Tage gefördert werden global brisante Themen wie (Hexen)Verfolgung oder Migration, beleuchtet werden sie lokal.

... künstlerisch transformiert

Die Ergebnisse der historischen Grabungen werden an der Aktualität gemessen und jeweils in eine künstlerische Form gebracht. Im Fall der (Hexen)Verfolgung schufen bekannte Musikerinnen, Theaterschaffende oder Literaten aus dem In- und Ausland ausserordentliche Werke. Im Fall der Migration lädt eine verspielt-tiefgründige Ausstellung zu Betrachtung und Reflexion ein. In beiden Fällen ist der Ort der Aufführung oder Ausstellung der Ort des Geschehens – das Hochtal Avers.

 

«aus und ein» – Ausstellung zu Migration

Am 15. Juli 2017 eröffneten die Kuratorin Ina Boesch und der Szenograf Remo Arpagaus die Ausstellung «aus und ein». 

Das Konzept – der Mensch im Vordergrund

Die Ausstellung über Ein- und Auswanderung im Avers unterscheidet sich von anderen Präsentationen von Migration ganz wesentlich: Sie thematisiert Migration aus historischer und aktueller Perspektive – in acht Stationen von der Einwanderung der Walser (13. Jh.) über die Auswanderung nach Übersee (19. Jh.) bis zur saisonalen Einwanderung von EU-Bürgern (21. Jh.); sie ermöglicht über beispielhafte Lebensgeschichten einen einfachen Zugang zum Thema und gibt Zeitzeugen eine Stimme; sie fokussiert auf ländliche Verhältnisse statt, wie häufig üblich, auf städtische; sie richtet sich nicht nur an allgemein Interessierte, sondern auch an die betroffene Bevölkerung; sie berücksichtigt auch die saisonale oder temporäre Einwanderung; sie zeigt im Kleinen, was heute im Grossen geschieht. Die Ausstellung veranschaulicht Migration als «Normalfall».

Die Ausstellungsgestaltung – attraktiv einfach

Häufig finden Ausstellungen in architektonischen Wunderbauten statt. Die Ausstellung «aus und ein» wird in einem ehemaligen Heustall präsentiert. Die Ausstellungsarchitektur ist der kargen Umgebung angepasst, verzichtet auf eine Hochglanz-Ästhetik und ist dennoch modern. Videos, Filme und Diashows verquicken Vergangenheit mit der Gegenwart, historische und zeitgenössische Exponate, Dokumente, Fotografien und Zeitzeugnisse laden zu Betrachtung und Reflexion ein. Die Ausstellung ist jederzeit zugänglich, der Eintritt ist frei.

 

hexperimente – Aufführungen zu Hexen

2009 gründeten die Kulturwissenschaftlerin und Publizistin Ina Boesch (www.inaboesch.ch) und die Musikerin und Publizistin Corinne Holtz (www.corinneholtz.ch) die Kulturplattform «hexperimente – die bühne im avers». Ziel war die zeitgenössische künstlerische Transformation von historischem Material. Bis 2016 vergaben die Kuratorinnen jährlich ein bis zwei Werkaufträge. Die insgesamt zehn Uraufführungen waren jeweils ausgebucht, einige wurden an renommierten Theatern wieder aufgeführt, andere im Radio ausgestrahlt, auf CD verewigt oder in Buchform publiziert.

Das Thema – verankert im Tal

Grundlage von hexperimente waren Protokolle von Averser Hexenprozessen aus dem 17. Jahrhundert. Diese wurden in einem ersten Schritt transkribiert und in die Geschichte des bündnerischen Hochtals eingebettet und in einem zweiten Schritt auf ihre Aktualität hin befragt und künstlerisch umgeformt. Das Thema Hexenverfolgung bot ausserdem unzählige Anknüpfungspunkte für eine gesellschaftspolitische Auseinandersetzung: Aussenseitertum, Gewalt oder Menschenrechte.

Die Idee – Variationen über ein Thema

Ausgehend von den historischen Dokumenten erarbeiteten Kulturschaffende aus den Bereichen Musik, Literatur und Theater Auftragswerke, die regelmässig im Sommer im Walserhof «Bim nüwa Hus» uraufgeführt wurden. Unverwechselbare Musikerinnen, Theaterschaffende und Schriftsteller lasen und interpretierten das Material jeweils auf unterschiedliche Weise und gemäss ihren Disziplinen: als Erzählung, Dialog, Monolog oder Fragment, mit dem Augenmerk auf sprachlichen Mustern oder als Splitter einer Biografie der Protagonistinnen und Protagonisten. So entstanden im Verlauf der Jahre zehn Variationen über ein Thema.

Die Philosophie – Begegnungen nah am Himmel

hexperimente stellte Fragen an die Welt und wartete, sich an einem offenen Kunstbegriff orientierend, nicht mit abgesicherten Antworten auf. Es war – dem Experiment verwandt – ein gewagtes Unterfangen. So wie die Ausformulierung einer Transformation lustvolle Anforderungen an den Einfallsreichtum der Künstler/innen stellte, erforderte die Rezeption beim Publikum Offenheit und Neugier.

hexperimente korrespondierte mit der Abgeschiedenheit des Tales, dem Reiz der alpinen Kulturlandschaft und dem einzigartig erhaltenen Ensemble des Walserhofes «Bim nüwa Hus».

Bündner Kalender 2010
Von damaligen Hexen und heutigen Experimenten (PDF)

 

«Bim nüwa Hus»

Das Ensemble «Bim nüwa Hus» ist der letzte in seiner ursprünglichen Erscheinung erhaltene Walserhof im Avers. Das Wohnhaus, das erstmals im 14. Jahrhundert dokumentiert ist und den für die Walser Architektur typischen Grundriss hat, wurde 1717 gebaut, die Ställe stammen aus dem 17. Jahrhundert. Das Haus wurde in den letzten Jahrzehnten liebevoll und sachgerecht renoviert und restauriert. In den Arvenstuben, den Schlafkammern und der Feuerküche erfährt man hautnah die Baukultur der Walser.

 

Das Hochtal Avers

Der Hof liegt auf knapp zweitausend Metern im Avers, der höchstgelegenen ganzjährig bewohnten bäuerlichen Siedlung der Alpen. Dank der Abgeschiedenheit des Tales findet man dort noch weitgehend die intakte alte Siedlungsstruktur der Walser sowie eine aussergewöhnlich reichhaltige Flora und Fauna. Vom Walserhof «Bim nüwa Hus» können Murmeltiere, Adler, Steinböcke und Gämsen beobachtet werden, Berggipfel wie Weissberg oder Jupperhorn, Pässe wie Stallerberg und La Valetta liegen zum Greifen nah.